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Kamerakalibrierung – wer haftet wann?

19. August 2015

Inzwischen das Alltagsgeschäft in Autoglas-Betrieben: auf den zu tauschenden Windschutzscheiben befinden sich Sensoren und Kameras, ohne die die vorhandenen Fahrassistenzsysteme nicht funktionieren würden.

Wird die Windschutzscheibe ausgetauscht, ist bei der Mehrheit der Fahrzeuge jedoch eine Kalibrierung dieser Systeme notwendig. Einige Werkstätten können eine ordnungsgemäße Kalibrierung schon oftmals wegen den baulichen Voraussetzungen nicht leisten, was für den Fahrzeuglenker, aber auch für den Versicherer maßgebliche Folgen haben kann. Je nach Profil des eingebauten Assistenzsystems, muss es nach einem Scheibentausch neu kalibriert werden. Ansonsten muss man mit Fehlfunktionen der Assistenzsysteme rechnen, die damit zu einer Erhöhung der Unfallgefahr führen können.

Technischer Hintergrund:

Das Gros der Automobilhersteller, die ihre Autos mit Fahrassistenzsystemen ausstatten, nutzen einfache Kameras mit einer Reichweite von ca. 100 Metern oder Stereokameras, die bis zu 300 Meter nach vorn sehen können. Diese Kamerasysteme werden oftmals durch Ultraschallsensoren, ein Radarsystem mit einer Reichweite zwischen 20 Metern und 100 Metern und/oder einem sogenannten LiDAR-System ergänzt. LiDAR (Abkürzung für engl. Light detection and ranging), auch LaDAR (Laser detection and ranging), bezeichnet eine Methode zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung. Statt Radiowellen, wie beim Radar, werden Laserstrahlen verwendet. Fahrzeuge, die mit einem LiDAR-System ausgestattet sind, müssen nicht kalibriert werden.

Bei Fahrzeugen, die eine einfache oder eine Stereokamera eingebaut haben, verhält es sich anders. Weicht nämlich der Einbauwinkel der Kamera um nur ein Grad ab, kann dies in einer Distanz von 100 Metern bereits zu einer Abweichung von bis zu 1,75 Metern führen. In der Folge könnte es sein, dass ein Auffahrwarner oder ein autonomes Notbremssystem nicht rechtzeitig reagiert und deswegen ein Unfall nicht verhindert wird. Die für die Assistenzsysteme notwendige Kamera, die meist hinter der Windschutzscheibe eingebaut ist, muss genau kalibriert werden, denn bereits die geringste Abweichung, lässt die Systeme ungenau reagieren.

Welche Anforderungen werden für die Kalibrierung an eine Werkstatt gestellt?

Nach Angaben der Carglass GmbH schreiben die Automobilhersteller aktuell bei zirka 75 Prozent der Pkws mit Fahrassistenzsystemen eine Neu-Kalibrierung (Rekalibrierung) der Kamerasysteme nach einem Wechsel der Frontscheibe vor. Je nach Hersteller und Automodell ist die Kalibrierung zeit- und kostenaufwendig, muss man die Investitionskosten solcher Messvorrichtungen, etwaige bauliche Veränderungen, sowie das Aneignen des notwendigen Know-how mit einkalkulieren. Nicht jede Kfz-Werkstatt ist daher in der Lage, eine solche vom Hersteller vorgeschriebene Kalibrierung durchzuführen.

Der Scheibentausch und die Haftungsfrage…
Doch was passiert, wenn eine Werkstatt bei einem Austausch der Windschutzscheibe die Kalibrierung nicht vornimmt und es deshalb – Fahrassistenzsysteme wirken schlussendlich direkt auf das Brems- und Lenkverhalten ein – zu einem Unfall kommt?

Dr. Eva M. Wolff, Fachanwältin für Versicherungsrecht bei der CMS Hasche Sigle Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB, erläutert diese Frage: „Die Kfz-Werkstatt ist aufgrund des mit dem Kunden geschlossenen Werkvertrages dazu verpflichtet, die Reparaturleistungen ordnungsgemäß durchzuführen. Wenn die Reparatur jedoch nicht ordnungsgemäß durchgeführt wird und es dadurch zu einem Schaden kommt, haftet die Werkstatt“, erklärt Sie verdeutlicht: „Es ist zwar richtig, dass der Kfz-Fahrer grundsätzlich dafür Sorge zu tragen hat, dass eine sichere Fahrweise gewährleistet ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Werkstatt deshalb nicht in vollem Umfang für durch die fehlerhafte Reparaturleistung entstandene Schäden verantwortlich ist.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn den Kfz-Fahrer/-Halter ein sogenanntes Mitverschulden trifft. Inwieweit ein unkundiger Laie aber erkennen kann, ob nach dem Austausch einer Windschutzscheibe eine Rekalibrierung von Kamera tatsächlich stattgefunden hat, vermögen wir als Juristen nicht zu beurteilen.“

... und in der Beweispflicht

Im Rahmen eines Anspruchs wegen Pflichtverletzung des Werkstattvertrages, müsse sich die Kfz-Werkstatt vom Vorwurf eines schuldhaften Verhaltens entlasten, so die Rechtsanwältin – und erläutert, welche Folgen dies hat: „Da es sich um eine sogenannt Beweislastumkehr handelt, muss also grundsätzlich nicht der Geschädigte darlegen und beweisen, dass die Werkstatt schuldhaft keine Kalibrierung vorgenommen hat.

Stattdessen muss die Kfz-Werkstatt ihrerseits darlegen und beweisen, dass sie kein Verschulden trifft, sie also weder vorsätzlich noch fahrlässig fehlerhaft gearbeitet hat. Insoweit empfiehlt es sich für Werkstätten, entsprechende Reparaturnachweise (Protokolle), die gegebenenfalls durch die Kalibrierungssysteme automatisch selbst erstellt werden, zu archivieren, um sie bei Bedarf vorlegen zu können“.

Wolff verweist allerdings auch darauf, dass es für den Fahrer beziehungsweise Halter wichtig ist, dass er beweisen kann, dass das defekte Fahrassistenzsystem Ursache für den Unfall war: „Ein möglicher Beweis könnte dadurch erbracht werden, dass der Kfz-Halter Zeugen dafür benennen kann, dass die Systeme nicht ordnungsgemäß gearbeitet haben.

Insoweit ist zum Beispiel an einen Beifahrer zu denken, der zum Zeitpunkt des Unfalls im Fahrzeug war und bezeugen kann, dass zum Beispiel der Spurhalterassistent nicht ordnungsgemäß funktioniert hat oder ein automatisches Bremssystem nicht angesprungen ist.“

Außerdem gäbe es noch die Möglichkeit, einen Sachverständigen hinzuzuziehen, der analysiert, ob das fehlerhafte Fahrassistenzsystem ursächlich für den Unfall war – und eben nicht ein anderweitiges menschliches Fehlverhalten oder andere Umstände.

…wer haftet nun?

Spannend ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob gegebenenfalls ein Versicherer haftet, wenn beispielsweise nach einem Unfall, die Assistenzsysteme von einer Werkstatt nicht ordnungsgemäß kalibriert wurden und es deshalb zu einem Unfall gekommen ist.

Das könnte nach Aussage von Wolff dann der Fall sein, wenn der Versicherer eine Werkstatt empfohlen hat, obwohl ihr bekannt war, dass diese Werkstatt in der Vergangenheit nicht fehlerfrei gearbeitet hat (Verletzung von Schutzpflichten des Versicherers).

Und es wird auch dann problematisch, wenn es sich um einen Kfz-Vertrag mit Werkstattbindung handelt. „Da der Versicherungsnehmer bei der Auswahl der Werkstatt keine Wahl hat, ist der Fall so zu behandeln, als würde der Versicherer die Reparatur selbst schulden (Naturalrestitution) beziehungsweise die Werkstatt selbst beauftragen“, erklärt die Spezialistin.

Werkstattbindung und evtl. Auswirkungen!

Dies sieht Christian Weishuber, Pressesprecher der Allianz Deutschland AG, anders: „Grundsätzlich stellt sich die Haftungssituation bei einem vereinbarten Werkstatttarif nichts anders dar als bei einem ‚Normaltarif’.
Kommt es im Rahmen eines Scheibenaustausches aufgrund einer nachweisbar nicht oder nicht fachgerecht durchgeführten Kalibrierung zu einem Schadenfall, hat der Kunde (ausschließlich) Ansprüche gegen seine Werkstatt als seinem Vertragspartner auf Basis des dazu bestehenden Werkvertrags.“
Die Allianz habe zudem mit ihren Partnerwerkstätten entsprechende, die Qualität der Bearbeitung sicherstellende vertragliche Vereinbarungen getroffen, deren Einhaltung auch überprüft wird.

Werkstatt als Erfüllungsgehilfe!

Die Rechtsanwältin Wolff gibt jedoch zu bedenken: „Bislang ist diese Konstellation, soweit ersichtlich, noch nicht gerichtlich entschieden worden. Wir meinen aber, dass der Fall der Werkstattbindung so zu behandeln ist, wie die Fälle, in denen der Versicherer ausnahmsweise Naturalrestitution schuldet.

Der Versicherer bedient sich der Werkstatt, um seine eigene Pflicht zur Reparatur zu erfüllen. Deshalb muss er sich gerade das Verhalten der Werkstatt als Erfüllungsgehilfen zurechnen lassen.“

Sie schränkt jedoch ein: „Der Versicherer haftet aber nur nach § 280 BGB in Verbindung mit § 278 BGB, wenn der Erfüllungsgehilfe – also die Werkstatt - schuldhaft (also vorsätzlich oder fahrlässig) gehandelt hat. Auf ein Verschulden des Geschäftsherrn – also des Versicherers – kommt es nicht an.“

Wolff betont dementsprechend: „Wenn also der Versicherer im Streitfall – zum Beispiel durch Sachverständigenbeweis – nachweisen kann, dass die Werkstatt weder vorsätzlich noch fahrlässig Reparaturpflichten verletzt hat, sind die Voraussetzungen für eine Haftung nicht erfüllt.“

Ein großes Thema und Vieles ist noch ungeklärt. Wir sind gespannt, wie sich die Haftungsthemen, Tariffragen, sowie die technischen Fortschritte weiter entwickeln und beobachten für Sie weiterhin den Markt.

In diesem Sinne: kommen Sie gut durch den Sommer!

Ihr Redaktionsteam autoglaser.de 19.08.2015 (Martina Weller)

Bild-Quelle: ASC GbR - Autoglas Schulungs Center

Autor: AUTO.net GLASinnovation
Quelle: AUTO.net GLASinnovation gmbh

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